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willst, die es gar nicht gibt?«
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»Wie?«
»Denk mal darüber nach, Rosi.«
»Darüber brauche ich nicht nachzudenken«, entgegnete Rosine rasch und
trotzig. »Wenn mir etwas wirklich am Herzen liegt, dann tu ich's auch.«
Inzwischen hatte der Unterricht längst begonnen. Rosines Magen knurrte und
ihr fiel ein, dass sie an diesem Tag in der ersten Stunde Mathe bei Andreas
hatten.
»Auch das noch«, murmelte sie, öffnete aber energisch die Tür und sagte:
»Tut mir Leid, dass ich zu spät dran bin, Andreas. Ich war bei Herrn
Siegmund.«
Andreas nickte nur und fuhr fort, eine Aufgabe an der Tafel zu erklären. Je-
mand kicherte. Ein Junge meinte halblaut: »Ist wohl ein echter Chaot, das
Mädchen, was?«
Sakiko schaute Rosi fragend an. Die zog nur die Schultern hoch und schwieg.
In der Pause fragte sie Sakiko: »Kennst du jemanden, der einen tragbaren
Kassettenrekorder besitzt und ihn verleiht?«
»Keine Ahnung«, antwortete Sakiko verblüfft. »Ich weiß nur, dass Aldo ein
Diktiergerät hat, ein altes von seinem Vater, aber es funktioniert noch
einwandfrei.«
»Das ist ja noch besser«, antwortete Rosi und strahlte übers ganze Gesicht.
»Das ist ja super! Wo finde ich Aldo?«
»Jetzt? Keine Ahnung. Warte doch bis zum Mittagessen, da triffst du ihn
bestimmt.«
»So lange noch«, murmelte Rosi. Im Deutschunterricht legte sie das Buch
und ihr Heft aufgeschlagen auf den Tisch. Auch das Mäppchen platzierte sie
so günstig, dass das Blatt, auf das sie eifrig und sehr konzentriert schrieb,
kaum zu sehen war.
»Was tust du denn?«, fragte Sakiko.
»Siehst du doch. Ich schreibe«, antwortete Rosi kurz.
»Was schreibst du?«
»Lauter Fragen.«
»Hä? Fragen? Was für Fragen?«
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»Erkläre ich dir später ...«
Zur Mittagszeit wartete Rosi ungeduldig auf Aldo. Der kam, den Arm um
Zilgas Schultern gelegt, gemütlich dahergeschlendert und meinte zu Rosis
Bitte: »Na klar kannst du das Diktiergerät ausleihen. Wozu brauchst du's
denn?«
»Für mein Projekt. Ich hab 'ne tolle Idee fürs Schulfest.«
»Ist es ein Geheimnis oder kannst du uns sagen, worum es geht?«
»Es ist kein Geheimnis«, erklärte Rosi und schilderte bereitwillig ihr Projekt.
»Es soll heißen: Eine Jugend ohne : Bravo9 . Altere Menschen erzählen von
ihrer Jugend«, meinte sie temperamentvoll. »Was haltet ihr davon?«
»Macht meine Oma mit?«, fragte Zilga erstaunt. »Hast du sie schon gefragt?«
»Nein, die Idee ist mir doch erst nach dem Besuch gekommen. Aber sie
macht bestimmt mit.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. An deiner Stelle würde ich sie schnellstens
fragen, bevor «
»Mach ich«, unterbrach sie Rosi. »Ich bin schon unterwegs!«
»Leute!«, rief Raffi mit glänzenden Augen. »Heute gibt's ein super Essen.
Schnitzel mit Pommes!«
Rosi zögerte. »Kein Frühstück und kein Mittagessen? Nee, das geht nicht.
Das hält kein Mensch aus.«
Sie aß mit größtem Appetit. Aber dann, als alle dachten, sie würde sich zum
zweiten Mal vom Nachtisch holen, kam sie nicht wieder.
»Die spinnt«, erklärte Aldo kurz und bündig. »Sie ist eine Einzelgängerin
und hat keine Ahnung, wie es im Internat zugeht. Ich bin gespannt, wie lange
sie es bei uns aushält.«
Solveigh strich ihre langen silberblonden Haare hinter die Ohren. »Sie ist un-
berechenbar. Ich finde, sie ist furchtbar schwierig, weil sie tut immer, was
sie will, und nie das, was von ihr erwartet wird.«
»Na und?«, meinte Cheerio. »Ich finde sie interessant.«
Andreas, die Hände voller Blätter Papier, kam an ihren Tisch. »Wie weit seid
ihr mit euren Plänen?«
»Wir haben ein paar Ideen, aber festgelegt haben wir uns noch nicht«, ant-
wortete Cheerio ausweichend. »Eilt's denn so?«
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»Heute ist Freitag. Wenn wir uns bis morgen Abend einigen könnten, wär's
nicht schlecht. Wo ist Rosi?«
»Keine Ahnung.«
Rosi blieb für den Rest des Nachtmittags verschwunden. Erst wenige
Minuten vor dem Abendessen raste sie in den Hof, stellte das Rad in den
Schuppen und schaffte es gerade noch rechtzeitig in den Speisesaal.
»Mensch, wo hast du nur gesteckt?«, fragte Sakiko vorwurfsvoll. »Du sollst
doch nicht immer verschwinden. Wieso begreifst du das nicht?«
»Jetzt bin ich ja da!«, antwortete Rosi strahlend. »Hunger habe ich nicht. Ich
hab mindestens fünf Stück Kuchen verdrückt.«
»Bei Zilgas Oma?«, wollte Cheerio wissen.
Rosi nickte. »Schade, dass ich das Diktiergerät noch nicht dabeihatte. Aber
ich hab mir Notizen gemacht. Sagt mal, könnt ihr alle in die Wunderbar kom-
men? Nach dem Abendessen?«
»Mit oder ohne Andreas?«
»Am besten ohne ihn.«
Rosi hatte ein Paket mitgebracht. Es enthielt verschiedene Sorten Kuchen, die
sie mitten auf den Tisch in der Wunderbar legte. »Greift zu, die sind für
euch.«
»Wurstbüchsen von der Tante, Kuchen von Zilgas Oma mal sehen, was du
als Nächstes anschleppst«, meinte Cheerio. »Aber jetzt berichte. Wir sind
gespannt!«
Rosi schaute sich um. Links von ihr saßen Nina und Naomi, dann kamen
Sakiko und Irene mit Raffi. Rechts von ihr quetschten sich Cheerio und Sol-
veigh in einen Sessel und Zilga saß auf dem Fußboden.
»Wir müssen übers Schulfest reden«, begann Rosi. »Ich habe euch doch von
meiner Idee erzählt: Eine Jugend ohne : Bravo9 . Also Zilga, deine Oma
macht mit und sie sagt, sie will auch ihre Freundinnen, die Nachbarn und
Bekannte bitten sich zu überlegen, was sie noch aus ihrer Jugend wissen. Ich
hätte nie gedacht, dass sie von der Idee so begeistert ist! Aber allein und in
der kurzen Zeit schaffe ich die Arbeit nicht. Man muss nämlich die Leute
erzählen lassen, man muss ihnen geduldig zuhören, dann muss man alles
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aufschreiben, muss Fotos machen und ganz zum Schluss muss man die Seiten
irgendwie zusammenbinden.«
»Du willst ein richtiges Buch machen?«, fragte Cheerio interessiert.
»Ja. Ich « Rosi sprang auf. »Sekunde!«, rief sie atemlos, rannte aus der
Wunderbar und kam gleich wieder zurück. Sie hielt ein »Bitte-nicht-stören«-
Schild hoch und hängte es außen an die Klinke.
»Das ist für Andreas. Wir können ihn erst einweihen, wenn unsere Pläne fer-
tig sind«, erklärte sie.
»Das ist die sicherste Methode, damit er hereinkommen wird«, stellte
Cheerio fest.
Und tatsächlich klopfte in diesem Augenblick jemand an die Tür. »Soll das
ein Witz sein?«, fragte Aldo. »Die Wunderbar ist immer für alle geöffnet.
Wo kommen wir hin, wenn Leute ausgesperrt werden?«
»Nur für kurze Zeit«, bat Rosi. »Bitte, Aldo, hab nur einmal Verständnis für
uns, ja?«
Zilga zwinkerte ihm zu. Er grinste väterlich und verkrümelte sich.
»Was soll das Schild?«, hörten sie draußen Andreas misstrauisch fragen.
»Beruhige dich, Andreas«, ließ sich Aldo vernehmen. »Zilga hat alles unter
Kontrolle.«
Sie grinsten sich an.
»Warum machst du's denn so geheimnisvoll?«, kritisierte Solveigh. »Sag
endlich, was du von uns willst.«
Rosi nickte und holte tief Luft. »Hat jemand Lust, bei diesem Projekt mitzu-
machen? Es ist spannend, kann ich euch sagen!«, rief sie mit blitzenden Au-
gen. »Zuerst war ich heute Nachmittag in der Stadtbücherei. Dort habe ich er-
fahren, dass man so was : mündliche Geschichte9 nennt und dass es schon
einige solcher Erinnerungsbücher gibt. Dann bin ich wieder zu deiner Oma
gegangen, Zilga, und habe sie gefragt, ob sie mitmacht. Sie hat Ja gesagt.
Und sie kennt jede Menge alter Leute, die uns gerne aus ihrem Leben erzäh-
len. Weil « Rosi lachte. »Weil nämlich: Sonst hört ihnen niemand mehr zu!
Den Familienangehörigen hängen ja die alten Geschichten längst zum Hals
heraus. Hundertmal haben sie sich die schon anhören müssen. Aber andere
Leute kennen sie eben nicht und es wäre schade, wenn sie verloren gingen.«
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Rosi schaute die anderen an. »Was haltet ihr von dem Projekt? Macht ihr
mit?«, wiederholte sie.
»Tja ...« Zilga zupfte an ihrem Ohrläppchen. »Darüber muss ich erst mal
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